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Was ist Erfolg?

Was ist Erfolg?
Compensation

Die zentrale Herausforderung dieser Fragestellung liegt in der Agency-Theorie. Die Agency Problematik entsteht dann, wenn der Kapitalgebende (Principal) vom Management (Agent) getrennt ist. Dadurch entsteht eine ungleiche Informationsverteilung, weil der Kapitalgebende meist nur über unvollständige Informationen zur Unternehmensleistung verfügt. Diese Situationen treten ein, wenn sich z.B. der Gründer eines Familienunternehmens in den Verwaltungsrat zurückzieht und die Geschäftsleitung an einen externen, familienfremden Manager übergibt. Dadurch entstehen InformationsAsymmetrien zwischen dem Eigentümer und dem neuen Geschäftsführenden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Asymmetrien zu verringern, wie zum Beispiel Kontrolle, Überwachung und finanzielle Anreizsysteme.

Bei Anreizsystemen ist die Unternehmensleistung von zentraler Bedeutung. Dabei stellt sich die Frage, wie der Eigentümer resp. der Verwaltungsrat eine umfassende und systematische Einschätzung dieser vornehmen kann. Ist die beobachtete Performance gut oder schlecht? Wie sollen nicht-finanziellen Faktoren bei der Performance-Beurteilung einfliessen?

Ausgangspunkt der Frage «Was ist Erfolg?» ist die Überlegung, welchen Zweck ein Unternehmen verfolgt. Stellt man diese Frage in einem individuellen Gespräch an die Mitglieder der Führungsgremien, fallen die Antworten meist sehr unterschiedlich aus: Kundenzufriedenheit gewährleisten, einem bestimmten Zweck dienen, sichere Arbeitsplätze bieten, Mehrwert für Aktionäre und Kunden schaffen, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten, etc. All diese Faktoren sind relevant, doch bei der Vielzahl an finanziellen und nicht-finanziellen Interessen, Zielen und Absichten stellt sich die Frage: Welche Prioritäten sollen gesetzt werden?

In den 1990er-Jahren wurde versucht, die Priorisierung auf Basis des Shareholder-ValueAnsatzes vorzunehmen. Vereinfacht ausgedrückt: «Geht es dem Aktionär gut, geht es allen gut.» Allerdings ging dabei oft der Blick für langfristig wichtige Aspekte der Unternehmensentwicklung verloren. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 zeigt sich, dass die einseitige Fokussierung auf Aktienkurse und Finanzkennzahlen nicht ausreichend ist, um eine nachhaltige Unternehmensentwicklung widerzuspiegeln. Es verbreitet sich zunehmend die Erkenntnis, dass bei der Top-Level-Steuerung des Unternehmens neben Finanzkennzahlen auch andere Aspekte wichtig sind, wie z.B. Qualität, langfristige Lieferantenbeziehungen, Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit etc. Diese nicht-finanziellen Kennzahlen werden jedoch oft unzureichend oder zu wenig systematisch in die Performance-Beurteilung einbezogen.

Eine weitere Herausforderung sind die Zielkonflikte zwischen den KPIs: Soll man die Preise senken, um die Kundenzufriedenheit zu steigern? Soll die Mitarbeiterzufriedenheit verbessert oder sollen die Kosten gesenkt werden? Solche Trade-Offs sind im Unternehmensalltag üblich. Aber wie lässt sich ein KPI gegen einen anderen abwägen? Oft werden dazu Gewichtungen eingeführt. Jedoch wird so das Dilemma nicht gelöst, da zahlreiche KPIs im Grunde keine Performance-Treiber per se sind, sondern Bedingungen und Voraussetzungen für eine nachhaltige Performance darstellen. Daher unterscheiden wir, zum Beispiel für Erfolgsbeteiligungen, zwischen Performance-KPIs und Bedingungs-KPIs.

Performance-KPIs vs. Bedingungs-KPIs

Die Bedingungs-KPIs wirken quasi als «Modifier» für die Gesamtbeurteilung der Performance. Mit anderen Worten: Die primäre Performance wird anhand finanzieller KPIs beurteilt, während die finanziellen und nicht-finanziellen BedingungsKPIs als Korrekturfaktor dienen. In der Regel führt dieser Qualitätsmodifikator zu einer Anpassung der Gesamtperformance um etwa plus/minus 20% bis 30%.

Oft werden fälschlicherweise Bedingungs-KPIs wie Performance-KPIs behandelt: Dabei werden Ziele festgelegt und Abweichungen gemessen. Dies ist jedoch ein unpassender Ansatz für BedingungsKPIs. Denn diese stellen Rahmenbedingungen dar und müssen dementsprechend anders behandelt werden. Die Messung von Abweichungen ist bei Bedingungs-KPIs ungeeignet, da Abweichungen suggerieren, dass ein mehr oder weniger entsprechend besser oder schlechter wäre. Jedoch ist bei Bedingungs-KPIs viel wichtiger, dass diese sich z.B. in einer Bandbreite bewegen. Diese Bandbreite hilft, kleine Veränderungen nicht sofort mit einer Konsequenz zu versehen. Der Grundsatz lautet: Solange der Bedingungs-KPI innerhalb der Bandbreite liegt, ist es gut genug. Qualität denken in Form von Bandbreiten, Mindest- oder Maximalvorgaben ermöglicht eine unternehmerische Performance-Diskussionen ohne Zielkonflikte.

«Qualitäts-Scorecard»

Wie bestimmen Eigentümer, Verwaltungsratsmitglieder und Führungsgremien die «Bedingungen» für langfristige Gewinne? Oft wird fälschlicherweise angenommen, dass dazu eine grosse und fast schon unüberschaubare Anzahl von Themen und Faktoren relevant wären. Die Praxis zeigt jedoch, dass sich Rahmenbedingungen meist auf fünf bis sechs Hauptthemen verdichten lassen, wie Wachstum und Strategie, Innovation, Kunden, Mitarbeitende, Bilanz und Nachhaltigkeit. Dabei unterscheiden sich die Hauptthemen in kleinen und grossen Unternehmen nur wenig.

Eigentümer, die selbst im Unternehmen operativ tätig sind, haben relevante Rahmenbedingungen über ihre Firma quasi natürlicherweise im Kopf und können daher relativ schnell beurteilen, ob die finanzielle Performance tatsächlich robust und nachhaltig ist. Wie aber können BedingungsKPIs für Verwaltungsratsmitglieder, die weniger nahe am Unternehmen und nicht operativ tätig sind, verständlicher und greifbarer gemacht werden? Die Verdichtung der BedingungsKPIs in einer «Qualitäts-Scorecard» ist eine Möglichkeit, Qualitätsfaktoren strukturiert zu erfassen und systematisch aufzuarbeiten. Somit werden Bedingungs-KPIs für Verwaltungsräte und Führungsgremien verständlicher und nachvollziehbarer. Ausserdem wird eine gemeinsame Sprache zwischen der operativen Führung und dem Verwaltungsrat etabliert, was den «Erfolg» in dem Unternehmen ausmacht.

Bei der Erstellung der «Qualitäts-Scorecard» wird wie folgt vorgegangen: Zunächst werden die Fokusthemen gesammelt und konsolidiert. Danach werden die Fokusthemen den Hauptthemen zugeordnet und mit entsprechenden Ambitionen ergänzt.

Zu beachten ist, dass die strategische Relevanz der Fokusthemen und deren Ambitionen periodisch überprüft werden soll, während die Hauptthemen ziemlich konstant sind. Anschliessend werden gewisse Informationen zum aktuellen Stand zusammengestellt, die Unternehmensperformance mit einem Schieber auf einem farblich markierten Balken beurteilt und entsprechend kommentiert. Auch nicht quantitativ messbare Fokusthemen sollten in die «Qualitäts-Scorecard» aufgenommen werden, da diese oftmals zwar nicht «messbar» aber «beurteilbar» sind. Dadurch wird für Eigentümer und Verwaltungsräte Raum geschaffen, systematisch auch solche Themen aufzugreifen.

Die «Qualitäts-Scorecard» sollte so verdichtet werden, dass sie auf eine A4-Seite passt. Zudem ist es sinnvoll, die Themen z.B. bei QuartalsVerwaltungsratssitzungen aufzugreifen und ein kurzes Update zu geben. Auf diese Weise © HCM International Ltd. All rights reserved. 5 lässt sich verhindern, dass bei der jährlichen Performance-Beurteilung der Verwaltungsrat mit (neuen) Informationen und Entwicklungen «überflutet» wird. «Die Qualitäts-Scorecard reduziert Komplexität. Wenige, aber griffige Ziele zu formulieren ist sehr wichtig,» sagt Josef Felder, Verwaltungsratspräsident des Flughafen Zürich, Vize-Verwaltungsratspräsident der AMAG und Mitglied weiterer Verwaltungsräte.

Zudem ist wichtig zu betonen, dass bei einer «Qualitäts-Scorecard» bewusst auf mathematische Berechnungen, wie zum Beispiel eine Bewertung mit einer nummerischen Skalierung von 0 bis 1, verzichtet wird. Anstatt dessen wird der Schieber in den roten Bereich für schlechte Performance oder in den grünen Bereich für gute Performance geschoben. Dies wird einerseits pro Hauptthema durchgeführt und andererseits auch für die Gesamt-Performance. Daraus ergibt sich eine nicht-mathematische Gesamtbeurteilung, ohne Gewichtung.

Dies führt zu einer umfassenden Darstellung der qualitativen Unternehmensleistung. So auch die Meinung von Michael Bruggmann, Head of Rewards & Engagement bei der Swisscom: «Die Qualitäts-Scorecard ermöglicht Erfolg ganzheitlich darzustellen und gewährleistet einen robusten Prozess für eine faire Beurteilung der Unternehmensperformance.»

Mut zur Unschärfe bei der Performance-Diskussion

Bei der «Qualitäts-Scorecard» wird bewusst auf eine mechanistische Verzahnung zwischen Messwerten, Zielsetzungen, Abweichungen von Zielwerten und die damit verbundenen Konsequenzen via z.B. ExcelRechnungen und -Tabellen verzichtet. Diese führen nämlich oft zu unerwünschten Ergebnissen, da sie die Gesamtleistung des Unternehmens eher verzerrt darstellen.

Zudem ist es mit hoher Komplexität und Aufwand verbunden. Mit der «Qualitäts-Scorecard» wird somit eine gewollte Unschärfe eingeführt, insbesondere durch folgende drei Verzichte:

Verzicht auf eine exakte Angabe des Zielerreichungsgrades: Zur «Messung» werden ein Balken mit Signalfarben und ein Schieber verwendet. Der Schieber kann im Farbverlauf zwischen rot und grün gesetzt werden. Das mag auf den ersten Blick aufgrund der Ungenauigkeit «nebulös» erscheinen. Doch es hat den Vorteil, dass eine Diskussion über Abweichungen vermieden wird (z.B. «das Ziel ist 93,5 % vs. 94,7% erreicht»). Der Grund dafür: Sobald man eine Prozent- und Punktediskussion beginnt, wird typischerweise der wirkliche Inhalt der Diskussion aus den Augen verloren und endet in einer Debatte rund um Abweichungen von Punkten und Prozenten.

Verzicht auf Gewichtung: Es wird bewusst darauf verzichtet die Haupt- bzw. Fokusthemen zu gewichten. Solche Gewichtungen täuschen oft eine fälschliche Prioritätenliste vor und können so falsche Signale senden, wie etwa, dass Kunden wichtiger seien als Mitarbeitende. Es kann auch vorkommen, dass z.B. ein einziger Reputationsvorfall im laufenden Jahr einen erheblichen Schaden mit sich bringt. Obwohl dieser tabellarisch anteilsmässig zwar unbedeutend erscheint, kann ein solcher Vorfall aus Sicht der Eigentümer mit einer grossen Relevanz in der Beurteilung der Gesamt-Performance einfliessen.

Verzicht auf automatisierte Konsequenzen: Es geht nicht darum, festzulegen, welche automatisierten und «hart verdrahteten» Auswirkungen eine grüne oder rote Beurteilung auf die Gesamt-Performance hat. Viel entscheidender ist, dass eine Diskussion angestossen wird und eine Beurteilung der Gesamtsituation erfolgt, anstatt die Konsequenzen quasi «vorzurechnen».

Die bewusste Unschärfe bei der PerformanceDiskussion birgt Vorteile, aber auch gewisse Herausforderungen. Dazu Michael Bruggmann: «Ich glaube nicht, dass man die Beurteilung einfach an ein Excel delegieren kann, das würde zu kurz greifen. Auch bei einem arithmetischen System muss eine Beurteilung stattfinden, nämlich dann, wenn man den Bewertungsmechanismus für die einzelnen nicht-finanziellen Grössen festlegt. Gleichzeitig gibt es eine gewisse Angriffsfläche, weil es eben nicht in Summe härtebelegbar ist, und darum auch kommunikativ mehr Aufwand bedeutet.» Diese potenzielle Angriffsfläche erhöht zugleich auch die Verantwortung des Verwaltungsrats. Dazu Roger Schoch, Generalsekretär des Verwaltungsrates der Schweizer Post: «Die Systematik der QualitätsScorecard hat sich bewährt. Mit der umfassenden Gesamtbeurteilung übernimmt der Verwaltungsrat eine grosse Verantwortung.»

Trotz den Herausforderungen bildet eine gewisse Unschärfe die Grundlage dafür, dass Performance umfassend diskutiert werden kann, anstatt sie nur zahlenbasiert zu bewerten. Dies zeigt auch die Erfahrung von Josef Felder: «Detailrechnungsthemen sind gefährlich, weil sie mit einer Scheingenauigkeit in eine falsche Richtung führen können. Die Qualitäts-Scorecard schafft den Raum für Bauchgefühl, welches eine wichtige Rolle bei Entscheidungen im Unternehmen spielt. Vor allem in Zeiten von Unsicherheit ist Resilienz gefragt und, besonders wichtig, dass man sich von der «Rechnungsmaschine» verabschiedet. Das hilft auch, Resilienz – in moralischer, finanzieller und organisatorischer Hinsicht – aufzubauen.»

Fazit

In vielen Unternehmen fehlt es bei Eigentümer, Verwaltungsräten und dem Management an einem einheitlichen und belastbaren Erfolgsverständnis. In dieser Hinsicht ist eine Trennung zwischen Performance- und Bedingungs-KPIs entscheidend. Eine Verdichtung und systematische Aufarbeitung der Bedingungs-KPIs, z.B. in einer «QualitätsScorecard», kann dabei helfen, sich besser zu orientieren und den Überblick zu behalten. Zudem ist es sinnvoll, eine gewisse Unschärfe zuzulassen, um einen unternehmerischen Austausch über die Unternehmensperformance zu ermöglichen.

Um auf die zentrale Frage «Was ist Erfolg?» zurückzukommen, eine mögliche Antwort lautet: «Langfristig profitables Wachstum, aber nur unter bestimmten Bedingungen.»

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